Freifahrt für die Schuljugend
Aus München trifft ein Generaldirektionsrat mit Sekretär ein und gibt sich die Ehre den Betrieb der Linie Hof – Marxgrün vorläufig zu eröffnen.
Alle Stationen entlang der Neubaustrecke sind beflaggt. Großartige Veranstaltungen bleiben andernorts aber aus. Die Fortschritte der Gleisbauarbeiten im Spätsommer waren für die begeisterten Menschen bereits Anlass genug, diese Ereignisse vor Ort gebührend zu feiern.
So wird von Rothenbürg berichtet, dass viel Jubel bei den Einwohnern herrschte und die Lokomotive mit Kränzen geschmückt nach Hof zurückkehrte. Das war am 28. August. Vier Tage später verschönerte die Damenwelt von Selbitz den Bauzug mit Blumen und im Gasthof „Zum Löwen“ wird das Ereignis von der Bevölkerung festlich und mit viel Reden begangen.
Am 13. September erreicht der Schienenwagen den Bahnhof Naila. Endlich besteht die ersehnte Verbindung an die Nord-Süd-Bahn in Hof. Wer kann eilt an diesem Tag zu den Gleisanlagen. Fahnen, Girlanden, Hoch-Rufe, wichtige Persönlichkeiten der Stadt und die Schuljungend geben dem Ereignis den würdigen Rahmen.
Reden und Jubeln machen bekanntlich hungrig und durstig und so finden die Feierlichkeiten in der Gaststätte „Schießhaus“, einige hundert Meter entfernt an der Eisenbahnlinie gelegen, ihre Fortsetzung. Dazu rollt die Lokomotive mit Pack- und Gleiswagen auf dem eben erst hergestellten Schienenweg bis zum „Schießhaus“ zurück. Die Schuljugend darf kostenlos mitfahren.
Die festliche Aufnahme des Eisenbahnbetriebs Anfang Dezember ist jedoch inoffiziell. In einer Begründung aus München an die Regierung von Oberfranken heißt es später dazu: „Die Neubaustrecke Hof – Naila – Marxgrün wurde im Dezember vorigen Jahres provisorisch in Betrieb gesetzt, um der bahnangrenzenden Bevölkerung tunlichst rasch die Vorteile des Bahnverkehrs zuzuwenden“.
Die offizielle Einweihung geschieht am 1. Juni 1887.
Eine Wagenladung Eis
Die Erschließung des Frankenwalds zählt nicht zu den Pionierleistung der bayerischen Staatsregierung. Nur durch geduldiges und nachdrückliches Fordern seiner Bewohner stellt sich erst die nötige Einsicht in München ein. Mit der Eröffnung der Strecken Kulmbach – Hof, 1848, und Lichtenfels – Stockheim, 1863, erschließt die Eisenbahn Bayerns „wilden“ Nordosten. Die Menschen sind davon begeistert, aber die Linien führen am Frankenwald vorbei. Aus wirtschaftlichen Gründen braucht unser Gebiet aber dringend einen Anschluss. Rührige Bürgermeister schlagen in ihrer Euphorie verschiedenste Trassenführungen vor, schließlich wollte jeder Ort seine Anbindung haben und sorgen so fern in München für manchen Wirbel. Mehrere Projekte werden vorgelegt um den Frankenwald an die „Welt“, die für viele bereits in Hof endet, anzubinden.
Münchberg – Naila – Lichtenberg – Schleiz,
Hof – Naila – Saalfeld,
Stammbach – Naila
oder 1892
Naila – Wallenfels – Kronach.
Alle werden verworfen; unrentabel, wie es heißt.
Am 15. Dezember 1881 richtete das Eisenbahn-Comitee Naila, bestehend aus 15 honorigen Bürgern der Stadt und des Umlandes, eine „Ehrerbietigste Bittvorstellung betreffend des Baus einer Eisenbahn Hof – Naila – Marxgrün – Eichicht (Saalfeld)“ an die Hohe Kammer der Abgeordneten. Die beschließt zwei Jahre später die Errichtung einer Eisenbahnlinie bis Naila, aber auf Drängen der Stebener, die Verlängerung bis Marxgrün. Mit dem Bau von Hof über Selbitz, Naila nach Marxgrün ist 1886 der Anfang geschafft. 20 Jahre geduldiges Ausharren verbunden mit zahlreichen Eingaben haben sich endlich ausgezahlt. Die ersten Güter erreichen am 13. Oktober des Jahres 1886 Naila, darunter eine ganze Wagenladung Eis für die neuerstandene Bierbrauerei Heckel und Hagen, spätere Gambrinus. Zwei Monate später beginnt die Personenbeförderung nach dem ersten Fahrplan:
Dezemberfahrplan 1886:
Marxgrün ab 5:00 Hof an 6:45
Marxgrün ab nachm. 1:30 Hof an 3:15
Hof ab 7:40 Marxgrün an 9:25
Hof ab abends 6:20 Marxgrün an 8:05
Neue Eingaben
Die Eisenbahn boomt zum Ende des 19. Jahrhunderts.
Das Streckennetz wird dichter. Zehn Jahre nach der Eröffnung Hof – Marxgrün kommt wieder Bewegung in den Ausbau der Eisenbahn im Frankenwald. Lobenstein – Blankenstein wird am 14. Juni 1897 feierlich eröffnet. Bad Steben, obwohl schon seit 1882 Staatsbad, erhält erst 1898 seinen Anschluss.
Ein früherer Vorschlag, die Fortführung nach Geroldsgrün, wird allerdings nie weiterverfolgt. Die Lücke Blankenstein – Marxgrün schließt sich 1901.
Damit ist der „Ehrerbietigsten Bittvorstellung“ des Nailaer Eisenbahn-Comitees zum Bau einer Eisenbahnstrecke Hof – Naila – Marxgrün – Eichicht (Saalfeld), 20 Jahre zuvor, voll entsprochen.
Die Erschließung des östlichen Frankenwaldes geht 1886 weiter mit der Linie Münchberg – Helmbrechts, wird aber bis Selbitz erst 1923 vollendet. 1910 bekommt Schwarzenbach am Wald seine Verbindung mit Naila. Dazu standen damals zwei Varianten zur Debatte. Eine Trassenführung durch den Culmitzgrund oder entlang des Lippertsgrüner Bachs. Die Überlegung aus Kostengründen diese Verbindung als Schmalspurbahn zu konzipieren wird bald verworfen, denn nennenswerte Einsparungen ergeben sich dadurch nicht. Den Zuschlag erhält bekanntlich die Anbindung über Poppengrün.
Gut 100 Jahre später? Nur die Strecke Hof – Bad Steben hat überlebt. Im Stundentakt pendelt ein Dieseltriebwagen zwischen den beiden Orten, Wartehäuschen aus Plastik und Fahrkartenautomaten bieten zeitgemäßen Service, die alten Bahnhöfe stehen zum Verkauf.
Radwege benutzen jetzt die alten Trassen. Wo nicht, holt sich die Natur zurück, was sie einmal für den Fortschritt hergab. Wieder reichen Komitees Eingaben ein, unterbreiten begeisterte Bürgermeister neue Vorschläge. Wieder geht es um eine Bahn.
Diesmal um Autobahn oder Startbahn.