Geschichten über Nailaer Originale

Neujahrswünschen

Von den Nailaer Originalen bleibt der Lappenheiner am nachhaltigsten in Erinnerung. Adam Heinrich Marian Müller war er getauft, gekannt hat ihn aber jeder nur unter seinem Spitznamen. „Ihr Lausboum, gett in eier Sonntogsscholl!“, soll er den Kindern hinterher geschimpft haben, wenn sie ihn wieder einmal aufzogen. Er gehörte zum Stadtbild von Naila wie die Kirche zum Markt. Jedem war er ein Begriff.Der „Lappen“, wie er allgemein hieß, lebte im Ortsteil Froschgrün. Deshalb werden die Froschgrüner auch gern die „Lappen“ genannt und ihre Siedlung scherzhaft „Lapp-Land“.Der Heiner lebte dort im Heimatrecht, einer Art Sozialhilfe, das ihm die ansässigen Familien gewährten, indem sie ihn abwechselnd bei sich wohnen ließen.

Eine seiner Leidenschaften war das Schnupfen. Unter seinem Arm trug er eine Tabaksdose in der Größe einer kleinen Zigarrenschachtel und seine Vorderfront spiegelte den eifrigen Verbrauch des Inhalts wider.

Schnupftabak in solchen Mengen wollte auch bezahlt sein. Der Lapp hatte dazu verschiedene Einnahmequellen aufgetan. Eine davon war das Neujahrswünschen. Ein schöner Brauch, den jedermann in den ersten Tagen des Jahres gerne pflegt, von ihm jedoch zu einem nahezu zeitlosen Gelderwerb ausgedehnt wurde. Im späten Sommer fing er bereits mit dem Neujahrswünschen an und das zog sich bis Ostern hin. Jedem Haus machte er seine Aufwartung, denn darauf, so meinte der Lapp, hätte er einen berechtigten Anspruch. Jeder Bedachte schien gut beraten, ihm mit einem entsprechenden Wunschgeld zu danken, denn bei Ablehnung oder Spott begehrte er heftig auf und reagierte recht derb.

Weiße Strümpf´ und Spangenschuh´

Über den Lappenheiner wissen ältere Nailaer immer wieder die eine oder andere skurrile Geschichte zu erzählen, die dieses Original trefflich charakterisiert. Stadtbekannt wie er war, wurde er gern von Jung und Alt mit seinem Spitznamen angerufen und lauthals mit „Lappen“ begrüßt. Worauf er, zur Gaudi der anderen, polternd und mit derben Schimpfwörtern reagierte. Gewohnt hat er in Froschgrün, wo er Heimatrecht genoss. Häufig hauste er beim Wertsgerch im Stall, unweit vom Ort seiner Hauptbeschäftigung, dem Kegelaufstellen im Wirtshaus. Seine derzeitige Unterkunft sah man ihm häufig an. Strohhalme im Haar und an der Joppe, der ganze Kerl ein Stück Dreck und selbst für hartgesottene Nasen war seine Nähe eine Qual. Auf der Vorderfront der Jacke spiegelten sich zudem die Folgen seiner unmäßigen Schnupferei.

Einmal im Jahr führte ihn sein Weg in die Schuhfabrik. Im Musterzimmer suchte er sich dann sorgfältig ein Paar neue Schuhe aus, wobei seine ganze Aufmerksamkeit dem Angebot an Damenlackspangenschuhen galt. Wichtig war ihm, dass sie möglichst viele durchbrochene Spangen aufwiesen, denn der „Lappen“ trug immer weiße Strümpfe, die jeder sehen sollte. Darauf kam es ihm besonders an. Gezahlt hat er nie.

Der „Lappen“, bürgerlich hieß er Heinrich Müller, lebte bis 1915. Über sein Ende wird erzählt, dass die Gastfamilie, bei der er vorübergehend logierte, ihn nach langem Drängen dazu überreden konnte, doch endlich ein Bad zu nehmen, denn sein Gestank raube jedem in der Nähe die Luft. Dabei soll ihn eine Lungenentzündung auf´s Lager gezwungen haben, von der er sich nicht mehr erholte. 68 Jahre und 5 Monate ist der Heiner alt geworden, so steht es in der Nailaer Chronik.

Ein gerahmtes Foto über dem Eingang zur Froschgrüner Kegelbahn erinnert an dieses Original, den „Lappen“.

„Naalicher Oozünder“

Spitznamen sind Spottnamen. Das Wort „spitz“ meinte ursprünglich „verletzen“. Im Laufe der Zeit schwächte sich diese Bedeutung stark ab. Eher humorig nennen die Bewohner des Umlandes die Selbitzer immer noch „die Bockpfeifer“, die Marlesreuther „die Puttla“, die Christusgrüner „die Spatzen“, die Froschgrüner „die Lappen“ und uns Nailaer „die Oozünder“. Doch diese Bezeichnungen sind nicht mehr nur scherzhaft zu verstehen, sie sind längst honorig anerkannt, haben sich sogar zum Markennamen entwickelt.

Viele alteingesessene Bewohner von Naila vertreten sicher im Inneren die Ansicht, dass ihr Spitzname zu Recht besteht, hat es doch nirgends so oft und – was das Auffällige dabei ist – so zweckmäßig gebrannt wie hier, einmal abgesehen vom Feuer von 1814 mit rund 20 zerstörten Häusern und dem großen Brand im Jahre 1862, dem fast das ganze Städtchen zum Opfer fiel. In der Folgezeit haben eigentlich nur noch Scheunenviertel darunter gelitten. Die Chronik hält diese Ereignisse genau fest. Am 20. September 1913 brennen elf Scheunen rechts der Hofer Straße ab, am 29. Januar 1921 sind es ebenfalls elf an der unteren Albin-Klöber-Straße, am 11. Juni 1924 gehen mehrere Scheunen am Birkigtweg und Ecke Weststraße in Flammen auf und am 2. April 1928 sowie am 15. Oktober 1935 fallen Scheunen an der Kronacher Straße dem Feuer zum Opfer. Alle standen wohl einer Verschönerung des Stadtbildes im Wege, denn Wohnhäuser und ähnliche wertvolle Gebäude kamen dabei nicht zu Schaden. Auffällig, dass die einzelnen Brände immer bei so günstiger Windrichtung ausbrachen, dass nichts weiter gefährdet wurde. Nach den Zündlern suchte nie jemand ernsthaft. So hatte Naila immer wieder sein nützliches Feuer zur Ortsverschönerung und die Einwohner bekamen, mangels überführter Brandstifter, ihren Spitznamen: „Naalicher Oozünder“.

Stummes Edda

Die Stummes Edda, ein Nailaer Original, bewohnte mit ihrem Mann, dem Christian, eine einzige Stube und beide hatten zusammen nur ein einschläfriges Bett. Als der Christian krank lag und zum Sterben kam, wurde er von seiner Edda treulich gepflegt und mit den Worten getröstet: „Christian, dei Sterbhemm haou ich dir scho hergericht!“

Als dann der Christian starb, ging die Edda sofort aufs Rathaus, um den Todesfall anzumelden und, da sie kein Geld besaß, das Begräbnis auf Gemeindekosten zu beantragen. Da kam sie beim Bürgermeister, dem alten Siemakapp, gerade richtig, der das Ansuchen barsch ablehnte.

Als der Bürgermeister nach zwei Tagen noch keine Trauerfeier wahrgenommen hatte, ließ er die Edda kommen um sich zu erkundigen, was sie mit dem toten Christian nun zu tun gedenke.

Daraufhin erklärte die Edda gekränkt: „Derham hinter der Haustür hob ich na höigelahnt, mir lahnt er gout.“ – Der Christian wurde letztendlich auf Gemeindekosten beerdigt.

 

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