Alte Berufe und Handwerke
– von Pechkratzern und Pechsiedern –
Finstere Gestalten
Im wohlgeordneten Durcheinander der Museums-Schusterstube liegt eine Rolle festen Fadens, Schusterdraht. Die Schuhmacher tränkten und behandelten dazu Hanffäden mit Pech und gewannen so den robusten und steifen Zwirn zum Zusammennähen ihrer Schuhe. Gutes Pech war deshalb gefragt. Den Rohstoff dazu lieferte der Frankenwald durch das Harz seiner Nadelbäume. Unermüdlich streiften wild aussehende Männer durch das dichte Holz und kratzten Harzbrocken von den Bäumen ab. Die Bewohner von Fichtelgebirge, Vogtland und Frankenwald nannten sie „Pechkratzer“ oder „Pecher“. Als finstere Gestalten werden sie beschrieben. Gesicht und Hände pechschwarz vom Umgang mit dem Harz, die Haare verklebt, Hose und Kittel vom Auf- und Abklettern an den Bäumen zerlumpt. Auf dem Rücken festgebunden schleppten sie einen pichenen Leinensack, in dem sie die Tagesausbeute sammelten. Manchem Wanderer oder Waldneuling mag der Schreck heftig in die Glieder gefahren sein, wenn ihm plötzlich so ein Kerl in den Weg trat. Die Arbeit war mühsam. Das Schabeisen in der Faust bestiegen sie die Stämme und schürften Harzwülste und Harzaustritte ab. Dabei kamen auch zahlreiche gesunde Bäume zu Schaden, sehr zum Unwillen der Forstbesitzer. Misstrauisch beobachteten diese das Treiben der „Pecher“, die oft genug heimlich und versteckt ihrem Gewerbe nachgingen und in ihren armseligen Pechhütten abseits und verborgen in den Wäldern hausten. Hier kochten und sotten sie das eingetragene Harz zu Pech, Öl oder Schmiere. Beißender Qualm durchzog die Hütte und vernebelte die Umgebung. Mit entzündeten Augen überwachten sie den Sud und prüften die Qualität, denn gutes Pech fand immer seine Abnehmer.
Einträgliches Handwerk
Die Pechsieder fanden lange ihr geregeltes Auskommen durch die stetige Nachfrage aus den unterschiedlichsten Handwerksberufen. Großen Bedarf meldeten die Brauer an. Sie pichten ihre Kübel und Fässer aus, um sie dicht zu halten. Apotheker kochten allerlei Salben und das begehrte Pechöl daraus. Metzger und Köche hielten sich stets einen kleinen Vorrat, denn mit fein zerriebenem Pechpulver ließen sich die Haare und der Flaum der Schlachttiere leichter entfernen.
Eine besondere Form der Veredelung war das Sotten des Pechs zu Wagenschmiere. Die Schmierbrenner verwendeten dafür besonders gebaute Öfen, ähnlich denen der Pechölsieder, die dazu die zweckdienlich geformte Pechsteine verwendeten. Dies waren steinerne Pfannen, quadratisch oder rund von etwa einem Quadratmeter Fläche, nach der Mitte zu ausgemeißelt und an der tiefsten Stelle durchbohrt, als Abfluss des Schmieröls. Der häufig vorkommende Familienname Pechstein weist auf dieses alte Gewerbe hin und wurde bereits im 14. Jahrhundert urkundlich in Nordoberfranken erwähnt.
Das Handwerk der Pechkratzer und Pechsieder ist seit langem ausgestorben. Im Frankenwald begegnen wir ihm nirgends mehr. Aus alten Hausnamen lässt sich noch erahnen, welchen Tätigkeiten die Vorfahren nachgingen. So verrät uns der Spitzname „Schmierbrenner“ oder „Schmierorl“ (-orl = Adam) das Gewerbe des Pechsieders. Auch Flur- und Ortsnamen im Frankenwald weisen auf die Tätigkeit der Pechkratzer hin. Der Name des bei Lippertsgrün gelegenen Weilers „Pechreuth“ bezeichnet ursprünglich den Ort eines Pechofens oder einer Pechhütte.
Wie aber erklärt sich die Verbindung des allseits geschätzten und begehrten Pechs im übertragenen Sinne mit Unglück und Missgeschick?
Zu dieser zweiten Bedeutung entwickelte sich das Wort in der Studentensprache des 18. Jahrhunderts. Wem ein Missgeschick ereilte, an dem hing es ebenso hartnäckig fest wie das klebrige, zähe Pech an Händen und Kleidung. Kurz: Er hatte Pech!